Awareness

Einleitung und Überblick zum Awareness Konzept:

0. Awareness bedeutet Achtsamkeit, Bewusstsein, Sensibilität im zwischenmenschlichen Umgang. Wir verstehen es als Konzept, das bestehende Macht- und Herrschaftsstrukturen kritisch hinterfragt. In diesem Zusammenhang reflektieren wir die persönlichen Grenzen von uns und anderen und nutzen Awareness als Haltung im Umgang mit Grenzüberschreitungen und Diskriminierung. Awareness als herrschaftkritische Haltung verstehen wir hierbei als Voraussetzung für gelingende politische Arbeit und nicht nur als konfliktfokussiertes Konzept. Fußnote (1)

1. Die Awareness-AG ist eine offene Struktur, in die sich Menschen jederzeit mit einbringen können. Die Awareness-Personen unterliegen der Schweigepflicht und dürfen Informationen – außer bei Fremd- und Eigengefährdung – nur in Absprache mit den betroffenen Personen an Dritte weitergeben.

1.1 Es besteht die Möglichkeit, Personen von der Mitarbeit in der Awareness-AG auszuschließen, wenn Bedenken geäußert werden.

1.2 Das awareness-Team ist erreichbar unter folgender E-Mailadresse: awareness-kats@immerda.ch

Bei Anliegen kannst du dich gern immer an uns wenden!

1.3 Im Haus und bei Veranstaltungen sind Mitglieder der Awareness-AG als solche visuell erkennbar.

2. Unser Ziel ist es, dass Menschen sich an diesem Ort wohl fühlen können: Also kommt gerne zu uns, wenn ihr euch unwohl fühlt!

3. Wir möchten Menschen unterstützen, die übergriffiges, diskriminierendes und/oder grenzüberschreitendes Verhalten erleben und beobachten. Dieses kann, muss aber nicht in ableistische, antisemitische, Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja, klassistische, queerfeindliche, rassistische, saneistisch, sexistische, transfeindliche und weitere Diskriminierungsmuster passen.

4. Wir verstehen Awareness als Haltung und Handlungsansatz, nicht nur als Unterstützungsangebot in übergriffigen Situationen. Das bedeutet, dass wir für Awareness sensibilisieren wollen, da sie in jeder zwischenmenschlichen Begegnung relevant ist. Im Haus wollen wir kollektiv Verantwortung übernehmen, um eine Awarenesskultur zu lernen und zu etablieren.

4.1 Entsprechend unserem Selbstverständnis im Haus sehen wir uns im ständigen Prozess des Reflektierens und Entlernens von Herrschafts- und Machtstrukturen. Dazu gehört auch, möglichen übergriffigen und diskriminierenden Situationen vorzubeugen (s. Abschnitt Prävention).

Betroffenen-zentrierter Ansatz

5. Wir arbeiten mit Definitionsmacht. (Fußnoten 2) Das bedeutet: Menschen können immer selbst bestimmen, was sie als Übergriff oder Diskriminierung erleben. Die Awareness-AG stellt die Wahrnehmung der betroffenen Personen nicht infrage!

6. Wir arbeiten mit einem Betroffenen-zentrierten Ansatz. Das bedeutet: Zuerst bieten wir Betroffenen emotionale Unterstützung im Umgang mit der übergriffigen Situation. Dann fragen wir nach, welche weiteren Schritte die betroffene Person sich wünscht. Das kann z.B. auch bedeuten, in einen Gesprächsprozess mit der übergriffigen Person zu gehen oder durch die Awareness-AG bestimmte Kritikpunkte/Wünsche an die Person zu kommunizieren. Die Arbeit der Awareness-AG kann folgende Aspekte beinhalten:

6.1 Den betroffenen Personen wird aktiv zugehört und Glauben geschenkt. Die Awareness- AG zeigt Solidarität und vermittelt den betroffenen Personen, dass ihre Wahrnehmung relevant ist und ernst genommen wird.

6.2 Die Awareness-AG fragt nach den Bedürfnissen der betroffenen Personen und versucht, diesen entgegenzukommen.

6.3 Ziel ist die Selbstermächtigung bzw. das Empowerment der betroffenen Personen. Das bedeutet, dass die betroffenen Personen sich wieder handlungsfähig fühlen und selbst Entscheidungen treffen können.

6.4 Wenn gewünscht, kann Kontakt zu professionellen psychologischen oder anderen Beratungsstellen hergestellt werden.

6.5 Die Awareness-AG arbeitet nicht mit der Polizei zusammen.

6.6 Im Sinne der kollektiven Verantwortungsübernahme (und der transformativen Gerechtigkeit) kann die Awareness-AG die Bildung von Gruppen im Haus anstoßen. Das können z.B. eine Vermittlungsgruppe und jeweils eine Gruppe sein, die die betroffene Person unterstützt, und eine, die sich mit der gewaltausübenden Person auseinandersetzt.

Handlungsmacht

7. Wir arbeiten nicht mit Sanktionsmacht für Betroffene. Das bedeutet: wir setzen nicht jeden Wunsch/jede Forderung von betroffenen Personen durch, legen aber Wert darauf, diese anzuerkennen. Wir sehen uns als Awareness-AG in einer Vermittlungsrolle, d.h. wir wägen unterschiedlichen Möglichkeiten ab, mit der Situation umzugehen. Gemeinsam mit der betroffenen Person besprechen wir, welche Handlungen & Konsequenzen wir sinnvoll finden.

8. Die Handlungsmacht 3 im Umgang mit der Situation liegt bei der Awareness-AG. Das Hausplenum wird in anonymisierter Form informiert, dass ein Awareness-Prozess angestoßen wurde. In folgenden Fällen wird die Handlungsmacht nicht allein von der Awareness-AG ausgeübt:

8.1 Wenn bestimmte, für den Fall relevante Perspektiven nicht in der Awareness-AG repräsentiert sind, können auf Wunsch der betroffenen Personen oder der Awareness-AG externe Personen mit entsprechender Perspektive bzw. Positionierung hinzugezogen werden.

8.2 Auf Wunsch der betroffenen Personen können Handlungsentscheidungen im Hausplenum getroffen werden.

8.3 Über langfristige Ausschlüsse muss im Hausplenum entschieden werden.

9. Grundsätzlich besprechen wir Awareness-Prozesse sowie Ausschlussfälle anonymisiert im Plenum. Wir wünschen uns einen sensiblen Umgang aller Beteiligten mit den besprochenen Informationen. Die Anonymisierung wird nur aufgehoben, wenn die betroffene Person das möchte.

Ausschlüsse

10. Es können Situationen entstehen, in denen Ausschlüsse nicht verhindert werden können: Entweder werden betroffene Personen ungewollt dadurch ausgeschlossen, dass im Haus keine kollektive Verantwortung übernommen wird, sodass sie sich nicht mehr sicher/wohl fühlen. Oder das Hausplenum entscheidet sich dazu, übergriffige Personen aktiv auszuschließen, nachdem es keine andere Lösungsmöglichkeit gefunden hat (s. Punkt 11). Es nutzt dabei die sogenannte Handlungsmacht, um weitere Gewalt zu verhindern und der betroffenen Person zu ermöglichen, weiter im Haus sein zu können.

10.1 Es gibt unterschiedliche Szenarien von Ausschlüssen, über die entsprechend auch unterschiedliche Personengruppen entscheiden.

10.1.1 Bei übergriffigem Verhalten auf einer Veranstaltung im Haus entscheiden die anwesenden Personen der Awareness-AG in Absprache mit der betroffenen Person und der Veranstaltungsorganisation über den Ausschluss der übergriffigen Person von der laufenden Veranstaltung.

10.1.2 Über langfristige Ausschlüsse von übergriffigen Personen aus dem Haus wird in einem Konsens-Prozess ohne die übergriffige Person entschieden. Dieser kann von einer Vermittlungsperson bzw. der Vermittlungsgruppe moderiert werden.

10.2 In Fällen von Ausschlüssen positioniert sich die Awareness-AG hinter den betroffenen Personen und nimmt die Wünsche und Forderungen von Betroffenen auf, d.h. sie ergreift Parteilichkeit für die betroffenen Personen.

10.2.1 Die Awareness-AG bemüht sich um einen sensiblen Umgang mit verschränkten Diskriminierungsebenen.

10.3. Die Awareness-AG wünscht sich, dass Ausschluss eine Option ist – sieht dies allerdings als allerletzte Instanz. Das bedeutet, dass ein Entschluss nicht leichtfertig getroffen wird, sondern aus einer geleisteten Vorarbeit resultiert. Diese Vorarbeit muss in intensiver Reflexion und Dialog mit allen Beteiligten stattfinden.Die Awareness-AG ist sich bewusst, dass ein Ausschluss eine drastische Maßnahme ist, z.B. für Menschen, die sich mit diesem Ort identifizieren. Ein Auschluss sollte daher immer sensibel durchdacht werden und andere Optionen müssen in Erwägung gezogen werden. Diese Herangehensweise bedarf allerdings, dass der Awareness-AG Vertrauen von den Menschen vor Ort entgegengebracht wird und die Handlungen nicht aus Prinzip in Frage gestellt werden.

11. Es gibt unterschiedliche Gründe, aufgrund derer ein Ausschluss diskutiert werden soll. (Für die Frage, wer im konkreten Fall diskutiert und Entscheidungen trifft, siehe Punkt 10.1).

11.1 Der Ausschluss beruht auf dem konkreten Schutzraumbedürfnis einer betroffenen Person (und wurde nicht initiativ von der Awareness-AG vorgeschlagen).

11.2 Im Einvernehmen mit den betroffenen Personen hält die Awareness-AG es für notwendig, über einen Ausschluss zu diskutieren. Dabei ist es besonders wichtig, auf das Schutzbedürfnis der betroffenen Personen zu achten und deren Anonymität zu gewährleisten. Dies tritt ein, wenn der Punkt 11.2.1 UND mindestens einer der Punkte 11.2.2-11.2.6 zutreffen:

11.2.1 Von der übergriffigen Person gehen diskriminierende oder grenzüberschreitende Verhaltensweisen oder Äußerungen aus. Diese können, müssen aber nicht in ableistische, antisemitische, Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja, klassistische, queerfeindliche, rassistische, saneistisch, sexistische, transfeindliche und weitere Diskriminierungsmuster passen.

11.2.2 Die übergriffige Person zeigt keine Bereitschaft, das Geschehen in einem transparenten Prozess zu reflektieren.

11.2.3 Die übergriffige Person zeigt keine Bereitschaft, die eigenen Privilegien zu reflektieren.

11.2.4 Die übergriffige Person zeigt keine Bereitschaft, selbst Verantwortung für das übergriffige Verhalten zu übernehmen.

11.2.5 Die übergriffige Person hält sich nicht an Vereinbarungen und/oder verhält sich wiederholt übergriffig.

11.2.6 Die betroffene Person fühlt sich nicht ausreichend sicher oder unterstützt.

12. Die Awareness-AG macht der betroffenen Person transparent, ob und wie ein Ausschluss stattfinden kann.

12.1 Die Umsetzung eines Ausschlusses liegt nicht bei der Awareness-AG, sondern wird von

Schutzstrukturen sowie durch kollektive Verantwortung übernommen.

Prävention

13. Es gibt im Haus einen Awareness-Briefkasten: Darin können Nachrichten als „stille Post“ an die Awareness-AG und als „laute Post“ ans Hausplenum gerichtet werden.

14. Regelmäßige Awareness-Runden: Hier tauschen wir uns über unser Wohlbefinden im Haus aus. Leitfragen können sein „mit was fühlt ihr euch wohl/ mit was fühlt ihr euch nicht wohl“ oder andere spezifische Themen. Vor dem Austausch in großer Runde bilden wir Kleingruppen (z.B. Bezugi, FLINTA-Gruppe, BIPOC-Gruppe, Disability-Gruppe, Queere Gruppe etc.), um in geschützem Rahmen über Dinge sprechen zu können und sie bei Bedarf anonymisiert in die große Runde zu bringen.

15. Safer Spaces: Wenn marginalisierte Personen Bedarf für einen safer space haben, wird die Awareness AG bei der Umsetzung auf Wunsch unterstützen. Aufgrund der persönlichen Betroffenheiten in unserer Gruppe, sowie der Diskriminierungsvorgeschichte des Hauses wird es für BIPoc und FLINTA* Menschen von Anfang an safer spaces geben.

15.1 In den o.g. Räumen können z.B. wöchentliche Treffen für Empowerment und Forderungen ans Hausplenum stattfinden.

15.2 Wenn ihr Bedarf nach einem bestimmten Safer Space habt, wendet euch gerne an die Awareness-AG.

16. Es wird eine Check-Your-Privilege-Liste aufgehangen. Betroffene von Diskriminierung können hier Bedürfnisse für das und Anliegen an das Hausplenum anonym aufschreiben. Vor den Plena wird die Check-Your-Privilege-Liste vorgelesen und die Plenumsteilnehmenden werden so darauf hingewiesen, dass sie kritisch mit ihren Privilegien umgehen und die konkreten Bedürfnisse von Diskriminierung Betroffener ernstnehmen sollen.

17. Die Awareness-AG schafft die Möglichkeit für von Diskriminierung Betroffenen mit Menschen zu reden, die durch die gleichen Gewaltstrukturen ähnliche Diskriminierungserfahrungen machen. Wenn die Betroffenen diesen Wunsch bei der Kontaktaufnahme mit der Awareness-AG äußern, meldet sich eine entsprechende Person (z. B. auch eine BIPoC oder eine FLINTA-Person) oder die Awareness-AG stellt Kontakt zwischen der betroffenen Person und einer Person her, die von ähnlicher Diskriminierung betroffen ist.

18. Es finden regelmäßige Themenspezifische Inputs statt, um die Awareness im Haus zu stärken. Themen sind verschiedene Diskriminierungsformen, aber auch generelle für gemeinschaftliche Leben relevante Themen (z.B. sexueller Konsens).

19. Bezugsgruppen bieten die Möglichkeit, sich mit Vertrauenspersonen unkompliziert über das eigene Wohlbefinden im Haus auszutauschen. Die Bildung von Bezugsgruppen ist deshalb wichtig, um Probleme im Haus schnell sichtbar werden zu lassen. Neuen Menschen wird über die Bezugi-Börse, die Möglichkeit gegeben, ein Bezugigesuch zu erstellen und zu sehen welche Bezugsgruppen gerade neue Menschen aufnehmen.

Abschluss: Kollektive Verantwortungsübernahme

Wir freuen uns über alle, die Awareness-Schichten (mit-)übernehmen – oder anderweitig in der AG mitarbeiten wollen. Kommt auch gerne auf die Awareness-AG zu, wenn ihr Kritik an den Strukturen oder Prozessen hier im Haus habt! Lasst uns außerdem Verantwortung nicht an die Awareness-AG auslagern, sondern sie als gesamtes Kollektiv gemeinsam tragen; lasst uns achtsam, offen für Kritik und gut miteinander sein! 🙂

Fußnoten:

1: Mehr Informationen zu Awareness finden sich z. B. unter a-team.blog/was-ist-awareness und awarenetz.ch

2: Mehr Informationen zu Definitionsmacht findet Ihr bspw. im Glossar des Awarenetz (https://awarenetz.ch/wp-content/uploads/2018/07/Glossar.pdf) oder ausführlich unter https://www.epplehaus.de/definitionsmacht-und-ihre-notwendigkeit/

3 D.h. dass die Awareness-AG dafür verantwortlich ist, die Wünsche der Betroffenen wahrzunehmen und angemessen damit umzugehen. Es ist z.B. nicht eine etwaige Schutzstruktur dafür verantwortlich

 

Concetto di Arwarness