Selbstverständnis

Wir sind eine Gruppe von Menschen aus der KTS und der linken Szene in Freiburg, die sich zur Aufgabe gemacht haben, den Prozess einer Umgestaltung der KTS anzustoßen, damit das Haus wieder den Ansprüchen hierarchiearmer Selbstverwaltung gerecht werden kann. In der Vergangenheit sind immer wieder Gruppen und Einzelpersonen aus der KTS ausgetreten oder vertrieben worden, bis das Haus fast gänzlich stillgelegt war. Das lag unter Anderem daran, dass sich im Haus Herrschaftsstrukturen bildeten, die keine Kritik mehr zuließen. So wurden unliebsame Menschen und Inhalte immer wieder unterdrückt und das Veto-Prinzip zum Machterhalt verwendet. Wir freuen uns, dass diese Zustände nun endlich aufgearbeitet werden.

Nach einer langen Flaute, was die Politik im Haus betrifft, sehen wir uns als den Wind in den Segeln des Schiffes, nicht als dessen Kapitän*innen. Wir leiten den Prozess der Neugestaltung ein und sind ab jetzt auf die tatkräftige Mitarbeit aller angewiesen, die sich den Grundsätzen dieses Selbstverständnisses anschließen können, sowie sich emanzipatorischen, linken, herrschaftskritischen Bewegungen zugehörig fühlen.

Um das erneute Entstehen von Herrschafts- und Diskriminierungsstrukturen zu verhindern, haben wir einiges an Vorarbeit geleistet, das wir im Folgenden vorstellen:

Machtanalyse und -kritik

Wir möchten, dass im Haus und in den Strukturen Macht und Hierarchien kritisch hinterfragt und abgebaut werden. Wir sehen dafür aufgrund der vergangenen Erfahrungen und Geschehnisse eine große Notwendigkeit.

Tragende Strukturen und Verantwortlichkeiten im Haus dürfen nicht auf einige wenige, immer gleiche Menschen verteilt sein, die sich damit „unersetzbar“ machen, sondern müssen rotieren und transparent sein. Die Menschen, die Verantwortung im Haus tragen oder Strukturen mitgestalten, sollten divers sein und es muss eine stetige Reflexion darüber statt finden, ob auch Perspektiven marginalisierter Gruppen einbezogen werden. Es muss einen offenen und konstruktiven Umgang mit Kritik und Fehlern geben. Das heißt, es sollte immer die Kommunikation und ein gemeinsamer Prozess mit Menschen/Gruppen angestrebt werden und nicht mit Ausschlüssen, Bloßstellungen oder Gewalt(androhungen) gearbeitet werden. Kritik am Haus und seinen Strukturen ist wichtig und hilft uns, uns immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Wir möchten, unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten, dass Strukturen und Vereinbarungen im Haus transparent und allen Menschen, die sich dort einbringen wollen, zugänglich sind. Wir wollen Informationen, die wichtig für alle Gruppen/Menschen sind in geeigneter Form verfügbar machen und stets offen für (Nach-)Fragen sein.

Vielfältiger Ort

Wir wollen einen Ort schaffen, an dem sich Menschen sicher und gehört fühlen und sie selbst sein können. Das geht nur, wenn dies ein möglichst vielfältiger Ort ist, an dem für alle Platz ist. Wir wollen einen Vernetzungs- und Berührungsraum für diverse Aktivist*innen und linke Menschen schaffen und eine Breite von Aktionsformen wertungsfrei nebeneinander existieren lassen. Militanz und ein höheres Repressionsrisiko machen Menschen nicht zu den besseren Aktivist*innen. Wir sind der Meinung, dass der Aktivismusbegriff ausgeweitet werden muss und dass dazu auch viele Formen von Arbeit und Erholung gehören, die in der Szene oft weniger Sichtbarkeit erhalten, z.B. Care-Arbeit(Putzen, Kochen, Pflegen, emotionale Arbeit), Bildungsarbeit und Freizeit. Deswegen freuen wir uns sowohl über Aktionen als auch über Lesungen, Parties, Konzerte, Plena, Küche für Alle, Workshops oder gemeinsames Chillen.

Zur Vielfalt gehört für uns ebenso, dass Widersprüche und Uneinigkeiten innerhalb der Linken diskutiert werden können und keine dogmatische „Wir gegen die“-Linie gefahren wird, bei der Menschen und Veranstaltungen im Vorhinein ausgeschlossen werden, wenn sie andere innerlinke Ansichten haben. Diskriminierende Inhalte und autoritäre Strukturen werden dagegen natürlich nicht geduldet.

Wir wollen nicht abschrecken sondern einladen und einen Ort schaffen, an den nicht nur Vollzeitaktivist*innen und Studierende kommen, sondern Menschen aus allen Lebenssituationen. Wir wollen darauf achten, tagsüber keine gefährlichen Gegenstände wie Bier flaschen und Scherben herumliegen zu lassen, an denen Kinder sich verletzen könnten. Uns ist es auch wichtig, die in der linken Szene verbreitete Konsumkultur von Alkohol und Rauchen zu hinterfragen. Wir wollen dazu aufrufen, achtsam zu sein, indem wir einander z.B. fragen, ob es für Umstehende in Ordnung ist, wenn wir rauchen oder Alkohol trinken, oder indem wir alkohol-/rauchfreie Räume und Veranstaltungen schaffen. Für Menschen, die schädliche Suchterfahrungen akut oder in der Vergangenheit hatten und davon losgekommen sind oder es gerade versuchen, oder die Erfahrungen mit Suchtkranken im Umfeld gemacht haben, kann der Besuch im Haus sonst belastend sein.

Diskriminierungssensibel

Um einen vielfältigen Ort zu schaffen, an den diverse Menschen kommen, braucht es ebenso einen kollektiven und kontinuierlichen Prozess im Umgang mit verschiedenen Diskriminierungsformen. Denn die Freiheit jedes Menschen endet da, wo die eines anderen beginnt. Wir wollen diesen Prozess angehen, indem wir auf Plena Raum für das Thema Diskriminierung und Privilegien schaffen, Workshops statt finden lassen und einander ermutigen, Privilegien abzulegen, auch wenn’s mal kurz weh tut. Während wir safer spaces befürworten, dürfen wir die Verantwortung für mehr Sensibilität nicht auf safer spaces auslagern sondern sind alle gefragt, an uns zu arbeiten.

Wir verfolgen dabei einen intersektionalen Ansatz, der die Verschränkungen verschiedener Diskriminierungsformen mitdenkt (z.B. Race, Klasse, Geschlecht, Behinderung …). Wir möchten mit Awareness und De finitionsmacht arbeiten (das bedeutet, einer betroffenen Person ihre Diskriminierungserfahrung nicht abzusprechen), in dem Bewusstsein, dass das Konzept De finitionsmacht weiterentwickelt werden muss (z.B. in Fällen, bei denen beide Parteien von unterschiedlichen Diskriminierungen betroffen sind).

Es hat einen Grund, dass die linke Szene so homogen und weiß ist. Auch in der KTS haben wir beobachtet, dass Strukturen immer wieder von der gleichen Demografie getragen werden, die Politik für weiße cis Männer betreibt. So kam es im Haus zu rassistischen und sexistischen Vorfällen, die nicht aufgearbeitet wurden. Auch beobachten wir in der linken Szene koloniale Vorstellungen davon, was Fortschritt bedeutet, oder paternalistische Positionen (z.B. White Saviorism), die die linke Szene für BIPOC unzugänglich und anstrengend machen. Wir verp flichten uns, diese Zustände zu ändern, indem wir patriarchale und rassistische Strukturen im Haus re flektieren und demontieren, auf die Bedürfnisse Betroffener eingehen und Veranstaltungen für, von und mit ihnen organisieren.

Systemkritik leben

Wir wollen ein Ort sein, an dem Systemkritik gelebt wird, selbstorganisiert und solidarisch. Das heißt wir wollen (politische) Haltungen, wie z.B. Antikapitalismus, Klimagerechtigkeit oder alternative Formen des Wirtschaftens praktisch in unserer Arbeit und unseremMiteinander umsetzen. Dazu gehört auch, dass Care-Arbeit und emotionale Arbeit einen festen Platz haben und gewertschätzt werden. Wir wollen nicht nur konsumkritisch sein, sondern das ausbeuterische kapitalistische System als Ganzes hinterfragen und umdenken. Wir wollen auf unsere Utopien des Zusammenlebens hinarbeiten und dabei die Widersprüche aushalten, die das Leben und (Lohn-)Arbeiten im bestehenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen System aufwirft. Um systemkritisch zu handeln braucht es Bildungsarbeit und die Offenheit, zuzuhören und voneinander zu lernen.

Selbstorganisiert heißt auch, dass es bei externer Finanzierung (z.B. durch den Staat oder nicht-staatliche Organisationen wie Stiftungen) nicht zu einem Interessenskonflikt zwischen Geldgeber*innen und der angestrebten politischen Arbeit kommen darf. Parteien und parteiähnliche Strukturen möchten wir dagegen gänzlich ausschließen, da Parteipolitik keine Systemkritik sondern ein reformistischer Ansatz ist. Dies betrifft jedoch nicht einzelne Menschen, die Mitglied einer Partei sind.

Zugänglich sein

Die linke Szene ist, trotz inklusiven Anspruchs, vielerorts unzugänglich oder ausschließend.

Dies liegt zum einen an Barrieren, die Zugänge erschweren und an deren Abbau wir arbeiten wollen, z.B. indem wir rollstuhlgerechte Zugänge ermöglichen, Texte in einfache Sprache übersetzen, Gebärdendolmetscher*innen oder Transkriptionen für Veranstaltungen/Plena organisieren oder Rückzugsräume für neurodiverse und Menschen mit psychischen Erkrankungen ermöglichen. Sollten wir dies nicht gewährleisten können, wollen wir dies explizit machen. Wir sind uns bewusst, dass sichtbare und unsichtbare Be_hinderungen sehr vielfältig und unterschiedlich sein können. Daher wollen wir neben strukturellen auch an individuellen Umsetzungsmöglichkeiten, mit den Bedürfnissen der betreffenden Person im Zentrum, arbeiten.

Auch Sprache kann Zugänge erschweren: Neben Deutsch wollen wir Übersetzungen von internen und öffentlichen Texten in anderen Sprachen anfertigen und bedürfnisorientiert z.B. Übersetzungen für Plena/Veranstaltungen organisieren. Außerdem wollen wir akademische, hochschwellige Sprache und Begrif flichkeiten versuchen zu vermeiden bzw. sie stets erklären.

Weitere Ursache für erschwerte Zugänglichkeit sind oft unausgesprochene Szene-Codes (Arten zu sprechen oder sich zu kleiden), anhand derer festgemacht wird, wer zugehörig ist, wem vertraut und wer respektiert wird. Wir wollen die Türen der Szene öffnen für Menschen, die Interesse an Plena, Veranstaltungen und solidarischem Zusammensein haben – egal wie sie sich kleiden oder wie viel Szene-Vorerfahrung sie mitbringen. Dafür bauen wir auf eine WiIlkommenskultur, bei der neuen Menschen ein Vertrauensvorschuss gewährt wird, bei der Fehler machen okay ist und Verständnis für verschiedene Startpositionen bei emanziaptorischen Prozessen da ist.Wir wünschen uns eine Offenheit für Fragen und dass Menschen an verwendete Sprache und Inhalte herangeführt werden, ohne ihrer Neugier misstrauisch gegenüber zu stehen. Wir wollen Wissenshierarchien z.B. zu Sicherheitskultur und Schutz vor Repression durch gemeinsames Weiterbilden abbauen.

Wir wollen linke Coolness dekonstruieren und ober flächliche Status- und Zugehörigkeitssymboliken überwinden! Wir wollen Unterschiedlichkeiten als Stärke begreifen, als Bewegung wachsen und unsere politische Vision weiterentwickeln und leben.

Lexikon

Veto = Einspruch // In Gruppen mit gemeinsamer Entscheidungs findung kann ein Veto bedeuten, dass ein Vorschlag nicht durchgesetzt werden darf.

Hierarchie(n) = Rangordnung

Selbstverwaltung/Selbstorganisierung = kollektive Zusammenarbeit unabhängig von staatlicher Kontrolle

emanzipatorisch = sich selbst befreiend

divers = vielfältig

marginalisiert = an den Rand der Gesellschaft gedrängt

Aktion/Aktionsformen = Handlungen, die politische Ziele verfolgen z.B. im Aktivismus (Beispiele: Sitzblockade, Demonstration, Sabotage, …)

Militanz = kriegerisches Auftreten oder Gewaltbereitschaft

Repression = Unterdrückung, z.B. durch Gewalt, Gerichtsprozesse, Geld- u. Haftstrafen

dogmatisch = eine Meinung haben, die als unumstößlicher Wahrheitsanspruch gesehen wird

autoritär = unbedingten Gehorsam fordernd

Privileg = ein Vorrecht oder Vorteil, der einer einzelnen Person oder einer Personengruppe zugeteilt wird

Safer Space = eine inklusive Umgebung, in der Menschen frei von Diskriminierung sein sollen

intersektional = Intersektionalität beschreibt die Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person (z.B. einer Schwarzen Frau, die von Rassismus und Sexismus betroffen ist und von einem speziellen Sexismus, der sich gegen Schwarze Frauen richtet)

Awareness, Definitionsmacht = nachzulesen im Awareness-Konsens

homogen = gleich

Demografie = Menschen einer bestimmten Gruppe (z.B. weiße, heterosexuelle Studierende)

kolonial = Als Kolonialismus wird die Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft bezeichnet. Die deutschen Kolonien waren 1914 das an Fläche drittgrößte Kolonialreich mit Kolonien in Teilen der heutigen Staaten Volksrepublik China, Burundi, Ruanda, Tansania, Namibia, Kamerun, Gabun, Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Nigeria, Togo, Ghana, Papua-Neuguinea, und mehrere Inseln im Westpazi fik und Mikronesien.Koloniale Kontinuitäten finden sich überall, etwa in der noch immer währenden Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch den globalen Norden, aber auch in Strukturen wie der „Entwicklungshilfe“.

paternalistisch = bevormundend, von oben herab

White Saviorism = Der Glaube, dass weiße Menschen Schwarze Menschen retten müssten und die daraus entstehende Hierarchie

BIPOC = Black, Indigenous and People of Colour // beschreibt jene Individuen und Gruppen, die vielfältigen Formen von Rassismus ausgesetzt sind

Antikapitalismus = radikale Form der Kapitalismuskritik und zielt nicht bloß auf Reformen, sondern auf die Aufhebung bzw. Zerschlagung des kapitalistischen Systems

Klimagerechtigkeit = Klimagerechtigkeit soll dafür sorgen, dass die heute ungleiche Verteilung der Folgen der globalen Erwärmung unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips ausgeglichen wird, da jene Bevölkerungsgruppen (mehrheitlich im globalen Süden), die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, oftmals am stärksten und ungeschütztesten unter seinen Folgen zu leiden haben.

emotionale Arbeit = für einander da sein, zuhören, an sich arbeiten, trösten, kuscheln

Utopie = Entwurf einer möglichen, zukünftigen Lebensform oder Gesellschaftsordnung

reformistisch = das Bestreben einer Partei, das vorhandene politische System eines Landes auf dem Wege von Reformen, d. h. unter gänzlichem Verzicht auf revolutionäre Handlungsweisen, in ein anderes, oftmals gänzlich verschiedenes zu überführen

neurodivers = ein Konzept, in dem neurobiologische Unterschiede als eine menschliche Eigenschaft unter anderen angesehen und respektiert werden. Unter anderem Autismus, AD(H)S, Dyskalkulie, Legasthenie und Dyspraxie als eine natürliche Form der menschlichen Diversität

solidarisch = Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer

Wissenshierarchie = Eine Rangordnung, die auf ungleich verteiltem Wissen und Fähigkeiten beruht

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